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Sa |21|05|2022|20:15| CINEMA

Vortex

Regie: Gaspar Noé, Frankreich 2021, 142', F/d, ab 16 Jahren, Eintritt: 15.-

Die Vergänglichkeit des Lebens

Archivdatum: 18.05.2022 , 21.05.2022

Zu Beginn von Vortex winkt sich das namenlose alte Ehepaar, um das es hier geht, von gegenüberliegenden Fenstern zu. Es ist ein bezeichnender Moment, weil die beiden nur scheinbar getrennt sind, sich tatsächlich aber in derselben Wohnung befinden. Bevor die Frau durch ihre zunehmende Demenz den Bezug zur Realität verliert, schenkt Regisseur Gaspar Noé ihnen noch einen letzten gemeinsamen Moment, der wie aus einem nostalgischen Heimvideo wirkt: Gemeinsam sitzen sie auf dem Balkon ihrer Pariser Wohnung und trinken Weisswein. Dass es weniger erfreulich weitergeht, kündigt Françoise Hardys Chanson «Mon amie la rose» über die Vergänglichkeit des Lebens an sowie einer von Noés charakteristisch markigen Slogans: «Dieser Film ist all jenen gewidmet, deren Hirn vor ihrem Herzen zerfällt».In der folgenden Nacht wird die Frau zum ersten Mal von Panik gepackt und das Bild teilt sich. Der von nun an fast konsequent durchgehaltene Split Screen steht dabei für die unterschiedlichen Welten, in denen sich die beiden von nun an bewegen. Während die ehemalige Psychotherapeutin die Kontrolle über ihren Alltag verliert, beschäftigt sich ihr sturköpfiger Mann zunächst unbeirrt weiter mit seinem Buch über Träume im Kino.

Bisher war Gaspar Noé vor allem wegen provokanter, prätentiöser und visuell ausschweifender Filme wie Irreversible und zuletzt Climax bekannt. Vortex entfaltet sich nun mehr aus einem vergleichsweise ereignislosen Alltag und ist dabei subtiler in seiner Härte und psychedelischen Verzerrung. Am nächsten Tag öffnet sich für das Paar die titelgebende Abwärtsspirale. Während der Mann wie immer an der Schreibmaschine sitzt, verirrt sich seine Frau in einem arabischen Supermarkt. Lebrun, die ihren ersten grossen Auftritt 1973 in Jean Eustaches La maman et la putain hatte, irrt dabei endlos durch labyrinthische Gänge, während sich die wachsende Verzweiflung in ihrem Gesicht abzeichnet.

In Vortex passiert scheinbar wenig – und doch ist immer etwas los. Die Szenen zeigen eingefahrene Routinen, die sich nicht mehr aufrechterhalten lassen. Beiläufig lässt Noé dabei Referenzen als Meta-Kommentare einfliessen. Mal ist im Radio ein Gespräch über Trauerarbeit zu hören, mal läuft die berühmte Alptraum-Szene aus Carl Theodor Dreyers Vampyr im Fernsehen. Der bewegungslose Held, der darin in einem Sarg gefangen ist und durch ein Sichtfenster sein eigenes Begräbnis beobachtet, ist der hilflosen dementen Frau nicht unähnlich.