october / oktober
Mi |30|10|2024|20:00| CINEMA
All Shall Be Well
34. Weltfilmtage Thusis zu Gast im Cinema Sil Plaz
Angie und Pat sind ein gut situiertes Paar Mitte 60 und wohnen seit über 30 Jahren gemeinsam in Pats gemütlicher Eigentumswohnung in Hongkong. Als Pat eines Nachts überraschend stirbt, ist Angie der Gnade ihrer Familie ausgeliefert. Da kein Testament vorliegt, ist Pats Bruder automatisch Erbe des Nachlasses, inklusive der Wohnung. Ray Yeung liefert ein sensibles Drama, in dem er die Frage nach der Bedeutung des Begriffs «Familie» im modernen Kontext stellt, mit einer leisen Heldin im Zentrum.
Haben Blutsverwandte automatisch mehr Rechte als Lebenspartner:innen? Und wie sieht es aus, wenn gleichgeschlechtliche Ehen nicht erlaubt sind? Nach eigenem Drehbuch erzählt Ray Yeung hier von Angie Wang und Pat Wu, zwei liebenswürdigen Damen Mitte sechzig, die schon lange ein Paar sind und in grosser Vertrautheit miteinander leben. Die beiden Tantchen, wie sie von Pats Grossfamilie liebevoll genannt werden, wohnen in einer schönen Gegend und sind offensichtlich besser situiert als der Rest der Familie.
Doch gleichgeschlechtliche Ehen sind in Hongkong nicht erlaubt und Pat hat kein Testament unterzeichnet. Als der Tod aus heiterem Himmel zuschlägt, führen Streitigkeiten um die Beerdigung und das Erbe zur Entfremdung zwischen Angie und der Familie ihrer Lebenspartnerin. Obschon sie bestens in die Familie integriert war, muss sie nun um ihre Würde und ihr Zuhause kämpfen. Für Angie beginnt ein später Emanzipationsprozess.
Ray Yeung ist Vorsitzender des Hong Kong Lesbian and Gay Film Festival und verarbeitet in seinen Drehbüchern gerne queere Thematiken. Nach Suk Suk, einem Film über die späte Liebe zweier Herren, die das Comingout nicht zuletzt aufgrund ihrer familiären Verpflichtungen nicht wagen, wirft er in All Shall Be Well erneut einen präzisen Blick auf den oftmals prekären Alltag älterer queerer Paare, diesmal mit einer leisen, dafür umso resilienteren Heldin. An der Berlinale erhielt er für diesen warmherzigen Film den Teddy Award für den besten Spielfilm mit LGBT+-Thematik.
Do |31|10|2024|20:00| CINEMA
The Seed of the Sacred Fig
34. Weltfilmtage Thusis zu Gast im Cinema Sil Plaz
Teheran, zu Beginn der Bewegung „Frau, Leben und Freiheit“: Kaum ist Iman zum Untersuchungsrichter am Revolutionsgericht in Teheran aufgestiegen, kämpft er aufgrund der landesweiten Proteste zunehmend mit Misstrauen und Paranoia. Als seine Waffe auf mysteriöse Weise verschwindet, verdächtigt er seine Frau und die beiden Töchter und ergreift drastische Massnahmen. Diese beginnen hingegen, angesichts der Frauenproteste bisherige soziale Normen und Familienregeln zu hinterfragen. Nach There Is No Evil (Goldener Bär Berlinale) erzählt Mohammad Rasoulof hier mutig und spannend von einer Gesellschaft im Umbruch.
Am 16. September 2022 verlor die 22-jährige Mahsa Amini ihr Leben, nachdem sie durch die islamische Sittenpolizei brutal misshandelt worden war, weil sie ihren Hijab zu locker getragen habe. Ihr Tod löste Proteste aus, wie sie das Land noch nie gesehen hatte und sorgte weltweit für eine grosse Welle an Solidarität: «Woman, Life, Freedom» ging als Slogan um den Globus im weltweiten Kampf für Gleichberechtigung, Freiheit und Menschenrechte.
Kurz nach dem Tod Mahsa Aminis siedelt Mohammad Rasoulof The Seed of the Sacred Fig an. Iman, ein Familienvater der Teheraner Mittelschicht, wird zum Untersuchungsrichter am iranischen Revolutionsgericht befördert. Dies bedeutet für die Familie mit den zwei Töchtern Rezvan (21) und Sana (16) nicht nur den sozialen Aufstieg, sondern auch eine Besserung ihrer finanziellen Situation. Allerdings zieht es auch weitere Einschränkungen für die Mädchen mit sich, die sich noch sittlicher verhalten sollen, um nicht aufzufallen. Denn Iman hat nun Befugnis, über Leben und Tod zu entscheiden. Als die Proteste auf der Strasse ihren Weg in das Haus finden und kurz darauf Imans Dienstwaffe verschwindet, greift die Paranoia im Familienleben um sich.
Wie schon seine vorherigen Filme musste Mohammad Rasoulof The Seed of the Sacred Fig heimlich drehen. Durch die Flucht aus dem Iran im Mai 2024 konnte er an der Weltpremiere in Cannes teilnehmen, wo der Film eine 15-minütige Standing Ovation sowie zahlreiche Preise erhielt. Nach A Man of Integrity (2017) und der mit dem Goldenen Bären gekrönte There Is No Evil (2020), liefert er hier ein erneutes Meisterwerk über die Unmöglichkeiten individueller Entscheide in einem totalitären Staat. The Seed of the Sacred Fig wechselt vom Kammerspiel zum Thriller, als das Drama um die verlorene Waffe seinen Lauf nimmt und der Vater die Kontrolle verliert. Von einem alles überragenden Schauspieler:innen-Ensemble getragen liefert Rasoulof eine fantastische Würdigung an die mutige Frauenbewegung im Iran.